Rad der Zeit

Kalachakra ist ein komplexer Initiationsritus, der die Aktivierung eines Samens der Erleuchtung zum Ziel hat, der in allen Lebewesen schlummert. 
 
Vor zweieinhalb tausend Jahren verließ der Königssohn Siddhartha Gautama seine Heimat an den Ausläufern des Himalaja und Begann seine Wanderschaft auf der Suche nach Wahrheit. Nach Jahren des Wanderns kam er in der Tiefebene des Ganges, in der Nähe des Dorfes Bodh Gaya an. Er rastete unter einem Baum und fand Erleuchtung. Seitdem ist er als „Buddha“, der Erleuchtete, bekannt. Der Maha Bodhi Tempel markiert den Ort, an dem Buddha verweilte und neben ihm steht mittlerweile die 5. Generation des ursprünglichen Baumes. Für die Welt des Buddhismus ist dies heiliges Land. Pilger aus der ganzen Welt kommen hierher. Im Jahre 2002 sind es eine halbe Million.
Lama Lhundup Woeser ist gerade angekommen. Er hat in dreieinhalb Jahren 4.000 Kilometer mit „Niederwerfen“ zurückgelegt, um heute hier zu sein. Seine Hände haben Überbeine und seine Stirn ist wund, weil er Millionen Mal die Erde mit ihr berührte: „Ich weiß jetzt, wie groß die Erde ist“, beschreibt der Mönch demütig seine Erfahrung.
Ein Meer von Buddha-Lampen erhellt als Symbol der Erleuchtung den Platz unter dem heiligen Bodhi Baum. Oberton-Gesang stimmt auf das große Ereignis ein. Die Kalachakra Initiation umfasst Unterweisungen in der buddhistischen Lehre, Gebete, philosophische Debatten und die Initiation („Einweihung“) unter dem Vorsitz des Dalai Lama. Das zentrale Ritual ist die Herstellung des Sandmandalas. Nach Weihung der Grundfläche malen 8 Mönche 18 Stunden täglich mit farbigem Sand eine innere Vision: das „Rad der Zeit“ - eine innere Landschaft mit mehr als 720 Gottheiten und tiefgründigen spirituellen Symbolen. Man hört nur ein leises metallisches Geräusch, wenn die Mönche des Namgyal Klosters (Dharamsala, Nordindien), behutsam auf ihr Werkzeug klopfen. Ein mit Sand gefülltes Metallstäbchen wird gerieben und gibt durch die kleine Öffnung einen dünnen, kontrollierbaren Sandstrahl frei, mit dem die feinen Linien des komplizierten Werks gemalt werden können. Sie werden noch mehrere Tage an dem Kunstwerk arbeiten. Sie hoffen, dass ihr Oberhaupt der Dalai Lama wieder gesund wird und die Initiation durchführen kann.
Werner Herzog entführt uns währenddessen zum „kostbaren Schneejuwel“, wie der Berg Kailash im Westen Tibets genannt wird. Tausende Pilger sind auch hier angereist, um diesem „Sitz eines Buddhas“ ihre Ehre zu erweisen. Ein Mast mit Gebetsfahnen wird feierlich errichtet. Auf mehr als 5.000 Metern Höhe werden sie den Berg in drei Tagen einmal umwandern. Höhenluft und die Strapazen der 52 Kilometer hat in den letzten Jahrzehnten schon einige Gläubige das Leben gekostet. Die Pilger besitzen keine moderne Ausrüstung. Sie haben einen Blasebalg mit, um aus Dung Feuer machen zu können und ernähren sich von Gerstenmehl mit Butter. Aber sie sind glücklich. Die Pilgerfahrt wird in diesem „Jahr des Pferdes“ 2002 eine zwölffache Aufhebung von schlechtem Karma erwirken und ihr nächstes Leben segnen.
Zurück in Bodh Gaya bereiten die Mönche den Mittagstee vor, der aus Schwimmbecken-großen Kübeln an die vielen Pilger verteilt wird. Das Sandmandala ist fertig und hinter Plexiglasscheiben geschützt. Die Gläubigen bestaunen und verehren dieses äußere Abbild einer inneren Landschaft im Vorbeigehen. Sie sind zutiefst besorgt, als der Dalai Lama ihnen mitteilt, die Zeremonien nicht abhalten zu können. Sie werden diese Nacht wach bleiben und für seine Gesundheit beten. Der Dalai Lama bittet sie, nächstes Jahr wieder zu kommen und die Trauer, so viele Anhänger enttäuschen zu müssen, ist ihm anzusehen.
Die buddhistische Gemeinde Österreichs hat den Dalai Lama nach Graz eingeladen, um die Kalachakra Initiation dort abzuhalten. Dieses Mal ist seine Heiligkeit gesund und sitzt den vielen Ritualen vor, die den Höhepunkt vorbereiten. Die Initiationsanwärter tragen rote Bänder um die Stirn, als Symbol für ihre geistige Blindheit. Manche legen sich als Zeichen des Samens der Erleuchtung ein Reiskorn auf den Kopf. Während der Initiation werden die Anhänger in die heilige innere Landschaft eingeführt, die auf dem Sandmandala abgebildet ist. Sie erreichen eine höhere Bewusstseinsstufe in tiefer Meditation, die nicht mit der Kamera zu erfassen ist.
Das Sandmandala wird vom Dalai Lama mit einer Handbewegung zerstört. Es ist vergänglich. Der Sand und mit ihm die reine Welt Kalachakras wird dem Fluss übergeben, als Opfergabe für den Weltfrieden. Was bleibt, ist die innere Landschaft, die das Bewusstsein während der Initiation gezeichnet hat. (https://www.radderzeit-derfilm.de/inhalte/)
 
Rad der Zeit DVD Rad der Zeit DVD DIE KALACHAKRA INITIATION 

„Kalachakra“ bedeutet RAD DER ZEIT und ist gleichzeitig der Name einer buddhistischen Gottheit, die verschiedene Aspekte des erleuchteten Gemüts repräsentiert. „Kalachakra“ steht auch für ein theoretisches Ausbildungssystem und spirituelle Praktiken, die vom lebenden Buddha an seine Schüler weitergegeben werden. Traditionell ist die „Kalachakra Initiation“ ein gut gehütetes Geheimnis. Das Kalachakra Sandmandala zu sehen, ist für die buddhistischen Initiationsanwärter der Höhepunkt eines zwölf Tage dauernden Initiationsritus und war früher nicht für die Augen eines Uneingeweihten bestimmt. Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama erlaubte die Präsentation dieses kulturellen Vermächtnisses an die allgemeine Öffentlichkeit. 
Die Praktizierenden nutzen das Kalachakra Sandmandala in der Meditation, um die einzelnen Schritte auf dem Weg zur Erleuchtung zu visualisieren. Es ist ein Wegweiser in der unendlichen Landschaft der inneren Welten. Das Mandala beinhaltet 722 Gottheiten und Manifestationen der obersten Gottheit Kalachakra, die in einem Kreis von ca. zwei Metern Durchmesser in menschlichen, tierischen, pflanzlichen und abstrakten Formen porträtiert wird. Verschiedene Aspekte eines erleuchteten Wesens werden dargestellt. Der Sand wird aus weißen Steinen gewonnen und mit Pigmenten von Wasserfarben eingefärbt.

Das tibetische Wort für Initiation ist „wong-khor“ und bedeutet wörtlich „Erlaubnis geben“. Die Kalachakra Initiation folgt einem traditionell festgelegten Ablauf. Die Rituale werden mit farbenprächtigen und vom Dalai Lama gesegneten Objekten abgehalten. Das Mandala wird in einem speziellen Haus („Thekpu“) gemalt, der Dalai Lama nimmt auf einem Thron aus Brokat Platz und der Altar für die Gottheit Kalachakra ist mit außergewöhnlichen Opfergaben geschmückt. Große Seiden-Bildnisse von Buddha, Kalachakra und anderen Schutz gebenden Gottheiten zieren die Wände. 
Am ersten Tag der Zeremonie bittet ein Repräsentant der Schüler um die Initiation. Der Dalai Lama fragt daraufhin die örtlichen Geister um Erlaubnis, die Zeremonie in ihrer Heimat abhalten zu dürfen. Um sie zu überzeugen, tanzen die Mönche den „Tanz der Erde“, der aus vielen symbolischen Gesten besteht, bis der Erdgeist „Tenma“ im Namen aller Geister die Erlaubnis gewährt. Zu Beginn wird ein Faden in flüssigen weißen Kalk getaucht. Der Dalai Lama spannt mit Hilfe auserwählter Mönche den Faden, platziert ihn an den Richtigen Stellen des zu entstehenden Mandalas und zeichnet so die Grundlinien. Berührt der Kalk die geweihte Oberfläche, bleibt eine weiße Linie zurück. Erst in zwei Tagen sind alle Grundlinien gezogen und die Blaupause ist fertig. Am dritten Tag radiert der Dalai Lama bestimmte Linien mit Safranwasser weg, um den 722 Gottheiten, die während der Zeremonie dem Mandala innewohnen sollen, einzuladen und einen Eingang zu schaffen. Getreidekörner werden um das Mandala platziert. Sie symbolisieren Kissen, auf denen die Götter sich setzen können. Danach zeichnet der Dalai Lama die ersten roten, weißen und schwarzen Linien mit Sand in die Mitte, als Symbol des Körpers, der Sprache und des Gemüts des Buddha. Die Mönche setzten die Sandmalerei von der Mitte nach Außen fort, indem sie zwei „Chakpus“, Stäbchen, aneinander reiben. Eines der Stäbchen ist mit Sand gefüllt und gibt durch die kleine Öffnung einen dünnen, kontrollierbaren Sandstrahl frei. Diese Methode ermöglicht die haargenaue, feine und komplizierte Ausführung der Muster. Man braucht zwei Jahre intensiven Trainings, um diese Art des Sandmalens und die Bedeutung der vielen Symbole zu erlernen. Nach der Fertigstellung dankt der Dalai Lama den Göttern, heilige Musik wird gespielt und ein feierlicher Tanz aufgeführt. 
Am neunten Tag empfangen der Dalai Lama und seine Mönche die Schüler zum ersten Mal. Wer in die Kalachakra Praxis eingeweiht werden möchte, muss Mitgefühl für alle Lebewesen mitbringen, sich für das Wohl anderer einsetzen und darf das Geheimnis des Mandalas nicht verraten. Den Schülern wird Kusha-Gras gegeben, damit sie es diese Nacht unter ihre Kissen legen und ihre Träume erinnern können. Buddha saß auf Kusha-Gras unter dem Bodhi-Baum, als er erleuchtet wurde. 
Die Initiation beginnt am nächsten Tag. Die Schüler verpflichten sich zu gutem Verhalten und der Dalai Lama bittet Kalachakra, ihnen die Augen zu öffnen. Die zuvor angelegten roten Stirnbänder, ein Symbol ihrer Unreife, das Mandala zu sehen, werden abgelegt. Nun werden die „sieben Kindheits-Initiationen“ durchlaufen. Diese Initiationen werden den Schülern helfen, während der Zeremonie wiedergeboren zu werden, als wahre Menschen, die die ideale und reine Welt des Mandalas betreten können. Die sieben Initiationen repräsentieren spezifische Ereignisse im Leben eines Kindes: Namensgebung, erstes Bad, erster Haarschnitt, erstes Erleben der fünf Sinne, Stechen von Ohrlöchern, Aussprechen des ersten Wortes und Lesenlernen. Jetzt dürfen sie das Mandala - die ideale Welt des Rads der Zeit, das Universums der Erleuchtung - sehen. 

Das Mandala erscheint flach und zweidimensional, doch in der Imagination nimmt es dreidimensionale Form an und zeichnet den Weg der Erleuchtung. Das erste Level ist das Mandala des erleuchteten Körpers, das zum Mandala der erleuchteten Sprache führt und die Richtung zum Mandala des erleuchteten Gemüts weist. Hier gibt es eine quadratische Plattform, die das erleuchtete Weisheits-Mandala symbolisiert. Von dort aus findet man das höchste Level, das Mandala der großen Seeligkeit und den achtblättrigen Lotus. Kalachakra umarmt hier sein weibliches Gegenstück Vishvamata, die All-Mutter. Zusammen symbolisieren sie die vollkommene Erleuchtung, die Vereinigung von Weisheit und Mitgefühl.
Dieser Weg kann nur beschritten werden mit Hilfe eines Meisters, der das Gemüt der Schüler führt und ihre inneren Augen öffnet. Um vollkommen zu werden, müssen die Schüler zuerst hart daran arbeiten, ihre Meditationstechnik und ihr Mitgefühl für alle Lebewesen zu perfektionieren. 

Im letzten Teil der Zeremonie dankt der Dalai Lama den 722 Göttern für ihre Mithilfe und bittet sie, das Mandala zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren. Er zerstört das Sandmandala mit einer Handbewegung entlang der Grundlinien. Der Sand wird zur Mitte hin zusammengekehrt und in eine Urne gefüllt. Die Urne wird an einem Nahe gelegenen Fluss wieder ausgeschüttet. Der vollkommene Frieden von Kalachakra fließt so in die alltägliche Welt und das vergängliche Mandala bleibt für immer in der Erinnerung jener, die dieses vollkommene Reich betreten haben. 

Obwohl die Philosophie von Kalachakra das höchste Level der Buddhistischen Lehre darstellt, kann es doch jeder zu jeder Zeit benutzen. Die Philosophie von Kalachakra kann einen Weg zeigen, eine reine innere Welt zu betreten und trotzdem Teil der alltäglichen Welt mit all ihren Problemen zu sein. Die Entwicklung von erleuchteten Tugenden, der Weg durch die verschiedenen Level des Kalachakra-Mandalas, ist einfacher, als es scheint. Ein reiner Körper entsteht durch gesunde Ernährung und Abstinenz von Drogen. Reine Sprache ist frei von Lästerei und Beschimpfungen. Ein reines Gemüt kennt keinen Ärger, Hass oder egoistische Gedanken. Wer seinen Körper, seine Sprache und sein Gemüt reinigt, erfährt inneren Frieden und mit ihm Glückseligkeit. 
 
Quellen: „The Wheel of Time Sand Mandala: Visual Scripture of Tibetan Buddhism“ von Barry Bryant, Harper Collins. „Learning from the Dalai Lama: Secrets of the Wheel of Time“ von Karen Pandell und Barry Bryant, Dutton. (https://www.radderzeit-derfilm.de/inhalte/)
 
 
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